Urteil nach "Kuhattacke" - der Versuch einer nüchternen Betrachtung

Ein Landwirt muss EUR 490.000,00 zahlen, weil seine Kühe eine Wandererin attackiert und tödlich verletzt haben. Die ganze Alpwirtschaft ist in Gefahr, der Landwirt bekommt medial breite Unterstützung. Mitgefühl mit der Familie der Verstorbenen? Fehlanzeige.

Der Versuch einer nüchternen Betrachtung durch RA Clemens Ender:

Die Entscheidung des Landesgerichtes Innsbruck basiert auf einer Gesetzesbestimmung, die es seit mehr als 100 Jahren, nämlich seit dem 01.01.1917 gibt. Zumindest der aktuelle Gesetzgeber oder auch die bei Entscheidungen, die nicht von allen verstanden werden, oft vielgescholtene EU sind also unschuldig. Es handelt sich um eine erstinstanzliche Entscheidung. Zwei weitere Instanzen stehen im Rechtsmittelweg zur Verfügung, können zur Überprüfung des Urteils angerufen werden. Es ist also noch nicht aller Tage Abend.

Der Landwirt muss dem Ehegatten EUR 132.832,63 und dem Sohn der Verstorbenen EUR 47.500,00 bezahlen und ab dem 01.01.2019 eine monatliche Rente von EUR 1.212,50 bzw. 352,50. Weiters haftet er für künftige Folgen. Die medial hochgeputschten EUR 490.000,00 dürften dem allein für die Verfahrenskosten relevanten, rein technischen Streitwert entnommen sein. Keine Frage: auch rund EUR 180.000,00, die gleich zu bezahlen wären, sind sehr viel Geld. Dennoch verbleibt der Eindruck, dass da medial etwas aufgebauscht worden ist; ein Anlass, die Berichterstattung kritisch zu hinterfragen.

Wie lautet nun diese Gesetzesbestimmung, die zur Haftung des Landwirts zumindest laut dem Urteil in erster Instanz geführt hat, nämlich § 1320 ABGB:

§ 1320. Wird jemand durch ein Tier beschädigt, so ist derjenige dafür verantwortlich, der es dazu angetrieben, gereizt oder zu verwahren vernachlässigt hat. Derjenige, der das Tier hält, ist verantwortlich, wenn er nicht beweist, daß er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung gesorgt hatte.

Frei übersetzt: wer ein Tier hält, muss es ordentlich verwahren oder beaufsichtigen.

Die Bestimmung gilt natürlich nicht nur für Kühe, sondern für alle Tiere, etwa auch für Hunde, Pferde, ja selbst für Geflügel oder Kaninchen. Interessanterweise ist die Berichterstattung dann, wenn ein Hund zubeißt, sehr oft gegenläufig: der Hundehalter wird verurteilt. Daraus wird wohl zu schließen sein, dass die Bestimmung an sich von der Bevölkerung / den Medien nicht als falsch aufgefasst wird?

Warum hier nun der große Aufschrei: es kann sein, dass der Sachverhalt etwas zu kurz gekommen ist? Die Unsumme, die der Landwirt angeblich zahlen muss, hat meines Erachtens sicher vieles übertüncht. Die Schlagzeile muss ziehen.

Das Urteil ist nicht öffentlich. Das Landesgericht Innsbruck sah sich mittlerweile jedoch zumindest veranlasst, eine Pressemitteilung (link) herauszugeben. Daraus ergeben sich zumindest Anhaltspunkte dafür, dass seitens des Landwirts vielleicht doch Fehler begangen wurden: die Verunfallte war nicht auf einem schmalen Wanderweg unterwegs sondern auf einer öffentlichen Straße in einem Seitental des Tiroler Stubaitals, welche von Wanderern, Kindern, Radfahrern und auch Fahrzeugen stark frequentiert wird. In unmittelbarer Nähe befindet sich ein im Sommer sehr gut besuchtes Gasthaus mit 220 Sitzplätzen. Die Mutterkuhherde wird täglich unmittelbar neben der Gastwirtschaft gefüttert. Bereits vor dem Unfall reagierten die Kühe gereizt auf Hunde von Wanderern und haben einen anderen Wanderer angegriffen (ohne Folgen). Dies war der Verunfallten nicht bekannt.

Dass Mutterkühe gereizt auf Hunde reagieren, habe ich schon oft gelesen; ebenso, dass sich Hunde hinter dem Hundehalter verstecken und die Kühe dann vermeintlich den Halter angreifen, jedoch eigentlich auf den Hund abzielen, der als Gefahr gesehen wird. Zum Selbstschutz sollten solche Herden also von Wanderern mit Hunden sowieso gemieden werden. Und wenn ein Passieren erforderlich ist, sollte der Hund möglichst nicht an der Leine geführt werden (im vorliegenden Fall war die Leine sogar um die Hüfte geschlungen und mit einem Karabiner fixiert, sodass der Hund nicht flüchten konnte), um ihm eine Flucht zu ermöglichen und um damit zu verhindern, dass der Hundehalter in den Focus der Kühe rückt.

Im vorliegenden Fall wusste die Verunfallte möglicherweise nicht, wie sie sich mit ihrem Hund korrekt verhalten hätte sollen. Wenn nun verstärkt auf Information gesetzt wird, ist dies sicherlich zu befürworten. Muss aber nicht davon ausgegangen werden, dass der Landwirt einen erheblichen Informationsvorsprung gehabt haben dürfte? War ihm nicht bekannt, dass seine Mutterkuhherde gelegentlich gereizt ist, es zu Angriffen auf Wanderer (mit Hunden) kommt? Dass sich dort sehr viele Wanderer aufhalten und seine Herde selten zur Ruhe kommt? Hat er nie die Gefahr gesehen, dass seine Tiere auf die Straße laufen und dort einen Unfall verursachen (Radfahrer!), ob nun durch eine direkte Kollision oder durch das Verschmutzen der Fahrbahn (Ausrutschen und Sturz)? War nicht absehbar, dass ein Unfall (wenn wohl auch nicht in dieser Dramatik) nicht ganz unwahrscheinlich ist?

Nein, das Landesgericht Innsbruck verlangt nicht, dass sämtliche Weiden im Almgebiet eingezäunt werden. Es vertritt vielmehr die Meinung, dass hier ein neuralgischer Punkt vorliegt, sodass eine Abzäunung in diesem Bereich zumutbar und deshalb vom Landwirt zu verlangen gewesen wäre.

Es existiert schon viel Rechtsprechung zum § 1320 ABGB. Der OGH hat wiederholt ausgesprochen, dass vom Tierhalter die objektiv erforderlichen Sorgfalt einzuhalten ist. Wie ein Tier zu verwahren und/oder zu beaufsichtigen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Für den Tierhalter müssen die Vorkehrungen jedoch zumutbar sein! Er muss jene Vorkehrungen treffen, die von ihm unter Berücksichtigung des bisherigen Tierverhaltens erwartet werden können. Die Judikatur spricht in diesem Zusammenhang von jenen Maßnahmen, die nach der Verkehrsauffassung vernünftigerweise geboten erscheinen. Es hängt von den erkennbaren Eigenschaften des Tieres ab, welche Maßnahmen im Einzelnen zu ergreifen sind. Ist dem Tierhalter etwa eine Eigenschaft des Tieres, die zu einer Gefahrenquelle werden kann, bekannt oder hätte ihm diese bei gehöriger Aufmerksamkeit bekannt sein müssen, so hat er auch für Vorkehrungen einzustehen, die aufgrund dieser besonderen Eigenschaft erforderlich und nach der Verkehrsauffassung zu erwarten sind. (Auszug aus Schwimann/Kodek, ABGB Kommentar, LexisNexis, Rz 10 zu § 1320).

Es ist nicht neu, dass der OGH die Meinung vertritt, dass die unmittelbare Nähe einer frequentierten Straße besondere Verwahrungspflichten des Tierhalters begründet. Eine Einzäunung in diesem Bereich kann erforderlich sein.

Auch die bisherige Rechtsprechung des OGH läuft keineswegs darauf hinaus, dass künftig auf allen Alpen Zäune aufgestellt werden müssen: etwa in der Entscheidung 5 Ob 5/13s wurde erklärt, dass grundsätzlich keine Verpflichtung besteht, einen Weg, der durch eine Kuhweide führt, durch Zäune abzugrenzen, da dies weder üblich noch zumutbar ist! Lediglich aggressive Tiere sind gesondert zu verwahren, sodass diese sich nicht dem Weg nähern können.

Fazit: Ohne den konkreten Sachverhalt zu kennen ist es schwer, einen Fall zu beurteilen. Aufgebauschte Medienberichte sind keinesfalls geeignet, um sich ein fundiertes Urteil bilden zu können. Die Entscheidung des Landesgerichtes Innsbruck scheint aufgrund der oben dargestellten Umstände zumindest nachvollziehbar zu sein.

Es ist wohl zu erwarten, dass ein Rechtsmittel erhoben wird. Womöglich werden die Entscheidungen des OLG Innsbruck (oder des OGH) künftig veröffentlicht und ermöglichen dann eine noch eine bessere Beurteilung von außen.