Der Chef liest mit ...

... aber darf er denn das?

Der Fall, der nun vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gelandet ist, geht weit in die Vergangenheit zurück: im Jahr 2007 wurde dem Rumäne Barbulescu gekündigt. Er war als Vertriebsingenieur in einem Unternehmen in Rumänien angestellt. Gemäß der Anweisung seines Dienstgebers verwendete er schon damals einen Messengerdienst zur Kontaktaufnahme mit Kunden. Jedoch nicht nur: auch mit seiner Verlobten unterhielt er sich während der Arbeitszeit. Sein Pech: der Dienstgeber protokollierte alles mit, ohne sein Wissen.

Bogdan Barbulescu wehrte sich gerichtlich gegen die Beendigung des Dienstverhältnisses, bekam aber nicht recht. Dank der Überwachungsprotokolle kamen die rumänischen Gerichte zum Ergebnis, dass der Dienstgeber im Recht sei. Es blieb bei der Kündigung.

Barbulescu wandte sich in der Folge an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - und bekam recht! Die Große Kammer des Gerichtshofes stellte am 05.09.2017 eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privatlebens und der Korrespondenz fest (Beschwerde-Nr 61496/08).

Laut dem Gericht dürfen Unternehmen die Internetkommunikation ihrer Beschäftigten überwachen, dies allerdings nur dann, wenn die Überwachung verhältnismäßig ist. Unter anderem setzt dies voraus, dass der Beschäftigte vorab über die Möglichkeit, die Art und das Ausmaß von Kontrollen informiert wurde.

Genau das wurde nun aber von den rumämischen Gerichten nicht geprüft: es wäre zudem zu untersuchen gewesen, ob ein legitimer Grund für die Kontrollmaßnahmen vorlag und ob nicht mildere Überwachungsmethoden möglich gewesen wären.

Den Job bekommt der Beschwerdeführer dennoch nicht zurück. Es konnte nur zu einer Verurteilung von Rumänien kommen.

Immerhin ist das Urteil aber wegweisend, unter anderem auch für Österreich und Deutschland: der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat damit Kriterien festgelegt, die künftig auch in anderen Ländern zu berücksichtigen sein werden, will man nicht auch eine Verurteilung riskieren. Es ist deshalb zu erwarten, dass sich auch die hiesige Rechtsprechung an dieser Entscheidung orientieren wird.

Verdeckte Spähprogramme sind in Unternehmen also ebenso verboten wie etwa die Protokollierung aller Tastatureingaben. Empfehlenswert ist es, mit den Mitarbeitern klare Vereinbarungen zu treffen: im Interesse beider Seiten sollte klargestellt werden, in welchem Umfang die private Internetnutzung zulässig ist - also etwa zum Abruf von privaten Emails in einer Arbeitspause. Dabei sollte auch berücksichtigt werden, ob Angestellte außerhalb der Arbeitszeit digital erreichbar sind und gelegentlich für das Unternehmen tätig werden; je großzügiger das in der Freizeit gehandhabt wird, desto eher kann eine gewisse private Internetnutzung während der Arbeitszeit zulässig sein. Zu berücksichtigen wird weiters sein, ob eine solche Nutzung schon bisher geduldet worden ist - ohne triftigen Grund kann von einer solchen, schlüssig zustande gekommenen Vereinbarung nicht abgegangen werden. Ohne weiteres darf ein Unternehmen laut dem EGMR zudem die private Internetnutzung nicht einmal zur Gänze verbieten!

Fingerspitzengefühl und wechselseitige Fairness helfen also auf jeden Fall weiter!